Creative Economies

Introduction (in German)

Kreativwirtschaft Bodenseeregion – Wertschöpfung zwischen Kultur, Wirtschaft und Technologie

Was knapp eine halbe Million Beschäftigte in der Kreativwirtschaft in der Bodenseeregion tun

Was zeigt der länderübergreifende Blick auf die Kreativwirtschaft im Bodenseeraum? Wie präsentiert sich der heterogene Branchenkomplex in der Region? Und wie lässt sich die Bodenseeregion überhaupt fassen? Wie organisiert sich dieser Wirtschaftszweig in ländlichen Gebieten? Was sind die grössten Teilmärkte? Wie viele Beschäftige gibt es in den kreativen Branchen, wie viele in den kreativen Berufen? Und lassen sich, kulturanalytisch betrachtet, historische Wurzeln der gegenwärtigen Entwicklung der Kreativwirtschaft in dieser Region ermitteln? Sind Narrative zu identifizieren, welche für den Kulturtourismus bedeutend sein können?

Dies sind die Hauptfragen, die für den vorliegenden Kreativwirtschaftsbericht Bodenseeregion leitend waren. Aufbereitet werden die Ergebnisse der Studie mit dem Ziel, sich der Region anzunähern und Grundlagen für diesen dynamischen Wirtschaftszweig in einer internationalen Perspektive zu erarbeiten. Zu wünschen ist, dass dieser Bericht eine breite Diskussion und Auseinandersetzung darüber anstösst, ob und wie die Creative Economies die Region in ihrer Entwicklung beleben können oder sollen.

Dabei ist es so relevant wie anspruchsvoll, die Bodenseeregion für die Kreativwirtschaft zu untersuchen. Zum einen sind für eine Region mit begrenzten natürlichen Ressourcen Kreativität und Innovation zentrale Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Wandel. Zum anderen ist der Branchenkomplex der Kreativwirtschaft äusserst heterogen. Er umfasst so unterschiedliche Teilmärkte wie Architektur, Werbung, Musik bis hin zur Softwareund Games-Industrie. Und schliesslich ist die Region Bodensee als Bildungs-, Forschungs- und Wirtschaftsstandort ein länderübergreifendes Konstrukt mit kulturräumlich sehr unterschiedlich ausgeprägten Qualitäten. Zu dieser dreifachen Herausforderung kommt hinzu, dass die Kreativwirtschaft bislang weitestgehend für städtische Milieus erforscht wurde.

Die grenzüberschreitende und regionale Perspektive ist besonders attraktiv, weil sie Grundlagen dafür erarbeiten kann, wie der Branchenkomplex in der Bodenseeregion analysiert werden kann. Der Blick auf die Region versucht das Phänomen Kreativwirtschaft abseits der grossen Zentren empirisch zu erfassen. Dabei geht es darum, lokale oder globale Zusammenhänge resp. das Beziehungsgeflecht in den Wertschöpfungsketten zwischen den eher ländlich geprägten, den urbanen Räumen und den Metropolitanregionen zu untersuchen. Wo lassen sich in der Region zukunftsfähige Geschäftsmodelle, Initiativen und Ideen identifizieren und welche unternehmerischen Strategien liegen dahinter? Dieser komplexen Ausgangslage begegnen wir mit unterschiedlichen Blickrichtungen und Zugängen, die kapitelweise vorgestellt werden und in der Gesamtschau ein Porträt der Kreativwirtschaft ergeben.

Das 1. Kapitel Regionale Ausprägung und historische Wurzeln der Kreativwirtschaft S. 6 erfasst den Raum um den Bodensee kulturanalytisch, um die Spezifika der regionalen Kreativwirtschaft besser zu verstehen. Statistisch definieren die NUTS-Regionen den Raum. Touristisch wirkungsmächtig für die Region ist das Seeufer und der Bregenzerwald. Für manche Akteure der Kreativwirtschaft steht der Bodenseeraum für eine hohe Lebensqualität und ein Naherholungsgebiet, für andere ist die gute Anbindung an die nächsten Flughäfen und damit an die Welt weit wichtiger als der See. So gilt es, sich zunächst der Eigenlogik der Region anzunähern. Was meinen wir, wenn wir von der Bodenseeregion sprechen? Wie können wir diesen geografischen und sozialen Raum überhaupt fassen? Welche Rolle spielen die lokale Wirtschaftsgeschichte und die Bildungsinstitutionen in der Ausbildung und Prägung des Gebiets? Gerade weil am Bodensee ganz unterschiedliche mentale und reale Settings aufeinandertreffen, nimmt dieses Kapitel verschiedene Perspektiven auf diesen Raum auf.

Auch im 2. Kapitel Kreativwirtschaft und Creative Economy in der Bodenseeregion S. 14, das den Hauptteil des vorliegenden Berichts bildet, werden ganz unterschiedliche «Karten» und Zugänge zur Region übereinandergelegt. Empirisch fundiert werden hier die verfügbaren statistischen Daten für Porträts der Region zusammengetragen. Dass dies für die Kreativwirtschaft über die Grenzen von D / A / CH / LI vorgenommen wird, ist ein Novum. Aus diesem Grund wurde in der Recherchephase mit der Statistikplattform Bodensee und sämtlichen Statistikstellen der Bodenseeregion Kontakt aufgenommen, schliesslich aber eine eigene Herangehensweise entwickelt. Dies bedeutet gleichsam eine erste Bewährungsprobe für den regionalen Zugang, da die statistische Datenlage in den vier Ländern sehr unterschiedlich ist. Die verwendeten Eurostat- Daten (SBS, EU-LFS) sind aggregiert (Wirtschaftsbranchen NACE 2-3-Steller, Berufe ISCO 3-4-Steller) und auf NUTS-2-Regionenebene erhältlich, harmonisiert und somit gut vergleichbar. Im Hinblick auf eine regelmässige Berichterstattung ist dies zielführend und sinnvoll. Der Wermutstropfen: Liechtenstein fehlt bislang in den verwendeten Eurostat-Daten und kann deshalb nicht abgebildet werden.

Der statistische Blick auf die Region erfolgt auf dreierlei Weise. Der erste Zugang erfolgt «klassisch» nach Branchenlogik zu den Teilmärkten des Wirtschaftszweiges. Er liefert wichtige Vergleichszahlen und lässt die Umrisse der kreativen Industrien und ihre regionale Bedeutung erkennen Kreativwirtschaft S. 17. Nicht ganz unerwartet liegt Zürich dabei anteilsmässig vorne. Die meisten Beschäftigten arbeiten in der Softwareund Games-Industrie und im Werbemarkt. Weil längst bekannt ist, dass es kreative Berufe auch ausserhalb der Teilmärkte gibt, werden für den Bodenseeraum als zweiter Zugang erstmals Branchen- und Berufsstatistiken gekreuzt und damit das Feld der sogenannten Creative Economy S. 24 umfasst. Auf diese Weise wird die Makrobetrachtung mit dem bereits eingeführten Branchenansatz der Kreativwirtschaft um die Dimension der Berufe der Akteure auf der Mikroebene erweitert. Den aktuellsten verfügbaren Daten zufolge waren 270 000 Erwerbstätige – umgerechnet 4,6 Prozent der Gesamtwirtschaft – in kreativen Berufen tätig. Die Resultate zeigen auch, dass jeder dritte Berufstätige ausserhalb der definierten Teilmärkte angesiedelt ist. Als dritten statistischen Zugang werden neben den amtlichen statistischen Daten Open Data bzw. Web Data verendet, um ein Mapping der Region anhand von OpenStreetMap zu ermöglichen. Dabei können beispielsweise die Museumsdichte der Region oder Hotels und Hochschulen gemappt werden OpenStreetMap S. 33. Dieser eher experimentelle Zugang steht stellvertretend für das Potenzial einer erneuerten statistischen Diskussion. Er beabsichtigt, das wirkungsmächtige Feld der datengestützten Beschreibung aufzufächern, gerade weil die bislang etablierten Ansätze das äusserst heterogene und dynamische Feld nur beschränkt beschreiben.

Das 3. Kapitel Sinnstiftung in der Praxis – Unternehmerische Strategien im Porträt S. 36 fängt die Stimmen der Akteurinnen und Akteure ein und ermöglicht eine Innensicht. Was treibt sie an? Mit welchem Selbstverständnis wird in dieser Branche gearbeitet? Die porträtierten Einzelfälle spiegeln die Heterogenität der Region wie der Branche wider und erlauben spezifische «Tiefenbohrungen». So geben die Porträts Auskunft über die Wertschöpfung in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, wobei die ausgewählten Fälle sowohl im Kernbereich der Kreation wie im erweiterten Feld der Vermittlungs- und Übersetzungsarbeit angesiedelt sind oder zwischen diesen Sphären hin- und herwechseln, wie es das Creative-Economies-Modell Abb. 1 S. 4 beschreibt 1.

  1. Terminologie und Keywords S. 70 und ausführlich: Weckerle Christoph/Grand, Simon/Page, Roman (2016): Creative Economies – ein neuer Ausgangspunkt für Wertschöpfung im Spannungsfeld von Kultur, Ökonomie und Technologie. In: Weckerle, Christoph/Grand, Simon/Page, Roman (Hg.): Von der Kreativwirtschaft zu den Creative Economies – Kreativwirtschaftsbericht 2016. Zürich, S. 68–78.

Im 4. Kapitel Kulturtourismus und Kreativwirtschaft S. 52 werden die Ergebnisse einer Medienanalyse zur regionalen Berichterstattung und einer Befragung der Stakeholder über ihre Einschätzung der Bedeutung der Kreativwirtschaft erfragt und dargelegt. Lassen sich aus dem Blick auf die Kreativwirtschaft im Bodenseeraum Potenziale für den Kulturtourismus identifizieren? Mit welchen Landschaftsstereotypen operiert der für die Bodenseeregion bedeutende Wirtschaftszweig Tourismus? Zudem zeigt das Kapitel auf, wie die Medien über den Branchenkomplex berichten. Zuletzt legt es Kooperationspotenziale und Synergien zwischen Kreativwirtschaft und Tourismus dar, die in der touristischen Angebotsgestaltung und Kommunikation genutzt werden könnten.

Das abschliessende Kapitel und Fazit S. 62 beschreibt die Spezifik der Kreativwirtschaft im Bodenseeraum indem es die Ergebnisse der vier Kapitel zusammenträgt und in Verbindung setzt: die kulturräumliche Annäherung und Auseinandersetzung mit der Wirtschaftsgeschichte und wichtigen Bildungsinstitutionen, den vielgestaltigen statistischen länderübergreifenden Blick, die Erfahrung von Akteurinnen und Akteuren im Feld und die Verknüpfung von Narrativen aus der Kreativwirtschaft für den Kulturtourismus.

Mit dem vorliegenden Bericht sollen die Forschungsresultate vermittelt und – wie eingangs postuliert – eine Debatte lanciert werden. Ein erster Schritt dazu wurde im September 2018 im Rahmen eines Stakeholderworkshops in Konstanz getan, an dem rund zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft, Verwaltung, Tourismus und Regionalentwicklung teilgenommen haben. Die Ergebnisse der Studie und Thesen wurden präsentiert, kritisch reflektiert und validiert. Zudem bot dieser Wissensaustausch die Möglichkeit, mit Expertinnen und Experten über zukünftige Entwicklungen und Herausforderungen der Region zu sprechen. Wo orten sie einen Handlungsbedarf, wo ein Potenzial? Hinweise aus diesem Erfahrungswissen und Dialog über die Kreativwirtschaft in der Region sind ins Fazit eingeflossen. Mit diesem ersten Bericht wird damit eine Grundlage gelegt, wie ein Porträt der Region aussehen könnte, das sich künftig regelmässig aktualisieren lässt. Denn um die Muster und Strukturen in der Kreativwirtschaft der Bodenseeregion und damit die Entwicklung des Feldes besser zu verfolgen, ist eine kontinuierliche Erhebung und Vertiefung notwendig.

Ermöglicht hat diese Forschung die Internationale Bodensee-Hochschule IBH, die das Projekt mit einer Laufzeit vom 1.4.2017 bis 31.12.2018 gefördert hat. Der vorliegende Bericht ist in enger Zusammenarbeit der beteiligten Hochschulen, der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK und dem CreativeEconomies research venture und der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung HTWG erarbeitet worden, mit dem Statistischen Amt des Kantons Zürich als Praxispartner.

Für das Projektteam: Janine Schiller

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Janine Schiller